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„BVG: versorgt und versagt
Hier eine Punkte-Bewertung abzugeben, ist wirklich schwierig, denn die BVG
hat sowohl große Stärken als auch immense Schwächen. Die Pluspunkte stammen überwiegend aus der Vergangenheit, das Negative aus der Gegenwart.
Erst mal zum Positiven. Viele Neu-Berliner sind vom öffentlichen Verkehr begeistert, und tatsächlich kommt man damit in der Stadt rum. Fehlt da nicht das Wörtchen "gut"? Eben oft nicht gut, aber überhaupt: wenn die gewählte Verbindung ausfällt, und das passiert ständig (Bauarbeiten, technische Störung, Personenunfall, Blaulicht-Einsatz), gibt es fast immer eine Alternative. Die muß der Kunde sich allerdings meist, auch bei vorher bekannten Ausfällen, selbst suchen. Außerdem ist die Vielfalt der Verkehrsmittel toll, denn neben Bussen und Bahnen gehören auch Schiffe dazu, sogar ein Ruderkahn. Meine Lieblingsstrecke ist - mehr noch als der bei Touristen beliebte 100er-Bus - die Hochbahn durch Kreuzberg zum Schlesischen Tor: von oben auf die Bäume, die Fassaden und das Treiben in den Straßen schauen, dit is Berlin!
Den Bahn-Enthusiasten wird das historische Feeling der teils über hundert Jahre alten Stationen gefallen, auch das Streckennetz und manche Züge. Die Linien wurden damals von verschiedenen Gesellschaften erbaut, so daß es unterschiedliche Formate gibt und bis heute keine einheitlichen Züge für ganz Berlin eingesetzt werden können. Auf der U4 mit ihren schmalen altmodischen Waggons und dem ständigen Gequietsche fühle ich mich in die Zeit vor einem Jahrhundert zurückversetzt: wo sind die Charleston-tanzenden Flappergirls?
Nun, die heutigen Zwanzigerjahre sind nicht golden, sondern oft beton- und blechgrau - die Baustellen! Erstaunlich, was die BVG da nicht gebacken - pardon: gebaut kriegt. Manche Rolltreppen wie an der wichtigen Umsteigehaltestelle Möckernbrücke sind seit über einem Jahrzehnt stillgelegt. Hier steigen wegen des Technik-Museums viele Touristen aus: was für eine peinliche Visitenkarte. Am Hermannplatz, ebenfalls ein Knotenpunkt, ist ein Bahnsteig seit 2020 "Dauerbaustelle" - also von Bauen keine Spur, nur alles bis auf einen schmalen Streifen mit Blechbuden zugebaut, nichts für Klaustrophobiker.
Vier Jahre ist aber gar nichts. Am U-Bahnhof Schloßstraße wird seit 2016, also seit acht Jahren, gewerkelt - ein Teil war wohl schon länger gesperrt, denn schon damals lagen da Zementsäcke mit zentimeterdicker Staubschicht. Es sah aus wie eine Beuys'sche Inszenierung, nur die Putzfrau fehlte. Zu erreichen war die Bahn über eine Behelfstreppe aus wackligen Metallgittern: Kletteranlagen-Feeling gratis. Rekordhalter ist die Bismarckstraße: Beginn der Sanierung 2013, voraussichtliches Ende heuer, das sind elf Jahre. Oder mehr...
Das Erscheinungsbild der Bahnstationen ist sehr unterschiedlich, in puncto Ästhetik wie Sauberkeit. Manche alten Haltestellen wurden mit Blick auf den Denkmalschutz sorgfältig saniert, andere scheinen nur die Funktion Ein- und Aussteigen zu erfüllen. Das sonst so überwichtige Corporate Design ist nicht erkennbar, nirgends. Sauberkeit und Hygiene ist neben der Funktionstüchtigkeit die größte Herausforderung der zusehends verelendenden Millionenstadt Berlin.
Die schlechteste Linie ist die U8, der schlimmste Abschnitt ist das südliche Ende in Kreuzberg und Neukölln: sechs Stationen mit Müll, Fäkalien und Begleiterscheinungen von massivem Drogenkonsum. Sogar der Bürgermeister nannte sie eine der schlimmsten Linien von ganz Deutschland. Konsequenz: drei Monate lang vermehrtes Putzen mit Security-Begleitschutz für 700.000 Euro. Das war's.
Und was macht die BVG sonst noch so? PR, viel PR - nein, sehr viel PR. Vor zwei Jahren brüstete sie sich mit einem neuen Sound-Branding, also dem unverwechselbaren Marken-Klang. Nicht das vorhin erwähnte Gekreisch von den Gleisen, sondern erstens ein Jingle: jede Stationsansage der U-Bahn wurde durch ohrenbetäubendes Techno-Gewummere eingeleitet. Als ich das erste Mal davon überrascht wurde, bekam ich fast einen Herzkasper. Offenbar mißfiel nicht nur mir das, denn es wurde schnell wieder entfernt und wird auf auf der Website nicht erwähnt. Und zweitens: Entsprechend dem queer-freundlichen Image Berlins werden alle Ansagen von einer Transfrau gesprochen.
Das Bekenntnis zu Diversität ist die Grundlage des neuen Bezugsstoffs "Muster der Vielfalt", das aus achtzig Silhouetten besteht, u.a. Rollstuhlfahrer, Blinder, schw*les Paar usw. usf. Der Stoff ist knallfarben, grellbunt und unruhig. Die BVG hat Unmengen Merch in diesem Muster anfertigen lassen. Damit nicht genug: ständig neue PR-Feats. Slogans, Videos, Songs und sogar ein Musical, das an sage und schreibe zwei Tagen aufgeführt wurde, Höhe der Produktionskosten: geheim. Das war vorigen Dezember der Gipfel an agentur-induzierter Selbstverliebtheit. Glanz und Elend...
Liebe BVG, wofür sind öffentliche Verkehrsbetriebe da: um Menschen zu transportieren - zuverlässig, sicher, angenehm. Braucht es dafür den ganzen Klimbim? Der Hauptzweck eines städtischen Verkehrsunternehmens ist weder Stadtmarketing noch Pampern der PR- und Werbebranche. So scheint aber die BVG sich zu verstehen, denn Geld und Energie werden vornehmlich hier investiert. Deswegen würde ich am liebsten null Punkte vergeben. Nun, ganz so katastrophal ist es nicht, sondern "geht so", gerade noch.
...”weniger